Und hier eine kleine Analyse zu den von Andrew Lloyd Webber komponierten Melodien, aus dem Buch Andrew Lloyd Webber - Der erfolgreichste Komponist unserer Zeit!

Author: Michael Walsh

Näheres und Copyrights am Schluß!

Es sei noch angemerkt, das die Analyse ziemlich gut ist, ich aber nicht immer mit seiner Meinung übereinstimme - also nicht so ernst nehmen ;-)

Obwohl Lloyd Webber stets betonte, daß sich CATS nur um Katzen und nichts als Katzen drehe, ist man doch versucht, in der Show mehr zu sehen: rätselhafte Variationen, mit - sagen wir - den Katzen, die einige Menschen in Lloyd Webbers Leben darstellen. Immerhin hofft man, daß es um mehr geht, denn CATS ist nicht Evita, ja nicht einmal Jesus Christ Superstar; in mancher Hinsicht stellt es einen Rückzug auf den Geist und die Techniken von Joseph dar, doch ohne die Frische dieser Show aufzuweisen. Obwohl es die unausweichlichen Passagen mit 13/8-Takt enthält, besitzt das Tonwerk eine Hartnäckigkeit, die vielleicht davon herrührt, daß es in großen Teilen ausschließlich im 4/4-Takt gehalten ist, sehr oft in b-Moll. Viele Lieder sind nicht abwechslungsreich und ziemlich langweilig, und eine Nummer, Of the Awe-full Battle of the Pekes and the Pollicles, kann sich mit "Banjo-Boy" aus Jeeves die zweifelhafte Ehre teilen, der schlechteste Song des Komponisten zu sein. Während bei Jesus Christ Superstar die Bewunderung mit wachsender Vertrautheit zunimmt, nimmt sie bei CATS ab.

CATS ist im Grunde eine Suite. Grizabellas Erlösung, die den Handlungsfaden bildet - abgesehen von der noch lahmenden Nebenhandlung des "Catnapping" des Old Deuteronomy - hat nur eine einzige Existenzberechtigung, Memory hervorzuheben, den Song, dessen Melodie bereits dreimal wiederholt wurde, bevor man den Text zum ersten mal ganz hört. "Sollte CATS wirklich ein dauerhafter Erfolg beschieden sein?" fragte sich der amerikanische Fernseh-Talkshowmaster David Letterman; wenn es wirklich so ist, dann bedeutet es einen Triumph der Spezialeffekte und der Vermarktung über Inhalt und Gefühl.

Und doch - CATS besitzt etwas, das ihm zu Recht Ruhm und Erfolg eingetragen hat. Vielleicht ist es die schiere Kühnheit des Unterfangens oder auch sein Format. Vielleicht liegt es auch am Thema, denn viele Menschen sind vernarrt in Katzen. Was immer der Grund sein mag, Mitte 1989 überholte es Jesus Christ Superstar als Musical der längsten Laufzeit in Großbritannien; und weltweit wurde es in 13 Ländern aufgeführt. In Österreich feierte es im September 1983 am Theater an der Wien Premiere und zog dann im Oktober mit noch immer ausverkauften Vorstellungen ins Ronacher Theater um; in Deutschland kam es im April 1986 (18.4. um genau zu sein, anm. des writers) im Hamburger Operettenhaus heraus. Im Gegensatz zur Wiener Inszenierung, die Gillian Lynne betreute, mußte man sich in Hamburg mit "zweiter Wahl" begnügen. In Frankreich, einem Land, das sich lange gegen Musicals immun gezeigt hatte, erlebte CATS am 23. Februar 1989 am Théàtre de Paris seine erste Vorstellung.


Die Show beginnt ziemlich vielversprechend mit einer schnellen Ouvertüre, die das eindringliche, chromatische Katzenthema in einem schwungvollen 6/8-Takt vorträgt und sich rasch zu einem dreistimmigen Fuge entwickelt, bevor die Musik zu ihrer Grundtonart in B-Dur findet und einem plätschernden Schluß zustrebt. Das Elliot-Potpourri Jellicle Songs für Jellicle Katz läßt die Darsteller aus den Kulissen wirbeln - die Straßenkatzen sammeln sich, um den Jellicle-Ball zu feiern. Der Song macht großen Gebrauch von der Synkopentechnik, die sich durch die ganze Komposition zieht (ansonsten würde der unaufhörliche, marschähnliche Rythmus das Publikum einschläfern): Jel-licles are and Jel- / licles do, Jelli- / cles do and Jellicles would / Jellicles would and Jel- / licles can, Jelli- / licles can and Jellicles do. In der Mitte wird der Song durch einen Kirchenchoral in B-Dur unterbrochen:

Die mystisch dunkle Göttlichkeit
Bewußter Katzenhaftigkeit
Füllte den Dom mit Sang und Schall.
Preisend das Katzenideal

Es folgt The Naming of the Cats. Es wird mehr intoniert als gesungen, eine Sprechstimme rezitiert dieses typischste der Elliot-Gedichte. Es landet ebenfalls in B-Dur, bis dann eine Modulation zum Ende hin den Weg zu dem E-Dur-Lied Die Gumbie-Katze im 4/4-Takt freimacht. Dieser Stepptanz nach Art der Revuepaläste wird von Erzähler und Chor vorgetragen und durch die Unterbrechungen von Jennyanydots, der Gumbie-Katze, selbst akzentuiert. Das Lied könnte ein Porträt von Jean, der Mutter des Komponisten, darstellen:

Doch sind die Geschäfte des Tages getan
fängt für die Gumbie-Katze die Arbeit erst an.
Die anderen gehn schlafen und löschen das Licht.
Sie schleicht in den Keller und tut ihre Pflicht.
Das ist gar nicht so leicht, denn die Mäuse sind schlimm.
Ihnen fehlt die Kultur, ihnen fehlt der Benimm.
Doch hat sie's geschafft, sie in Reihen zu bringen,
dann lehrt sie sie Nähen und Häkeln und Singen.

Das The Rum Tum Tugger, das darauf im verwandten A-Dur folgt, ist eine typische Lloyd Webbersche Hommage an ein Rockvorbild, diesmal an Mick Jagger von den Rolling Stones. Es ist noch schwerer und intelligenter synkopiert als Jellicle Songs für Jellicle Katz, was es rythmisch komplexer erscheinen läßt, als es in Wirklichkeit ist. Als man die Gedichte in Songs umwandelte, mußte man Eliots Text leicht umstellen - aus der Zeile in "Tugger" If you offer him a pheasant he would rather have a grouse wurde: If you offer me a pheasant I'd rather have a grouse, doch in ihrer Substanz blieben sie erhalten. Der Gegengesang der Katzen wird durch ein Absinken in die parallele Molltonart unterbrochen, als Grizabella unter der schweren Last ihre Existentangst angehinkt kommt, dargestellt mit einem lebendig-rythmischen Grundbaß.

Grizabellas Trübsinn ist jedoch nur ein vorübergehender Schauder. Der nächste Song, Bustopher Jones, ist eine gutgelaunte Hymne an die Großstadtkatze in E-Dur (und 4/4-Takt), die das pompöse Gehabe der wohlbeleibten Katze aus der St. James Street beschreibt. Die Tonartwechsel zu F-Dur, während Bustopher sein Lied singt: My visits are occasional to the senior educational / and it is against the rules / For any one cat to belong to both that / and the joint superior schools. Es folgt eine kurze Anspielung auf den Klub der Drohnen, wobei man aber - Gott sei Dank - von einer musikalischen Aufwärmung des "Banjo Boy" verschont bleibt. Ohne jeden ersichtlichen Grund wird ein Zitat aus diesem Lied später zum Leitmotiv für Old Deuteronomy, den Katzenpatriarchen, dessen schleppender Baß sich völlig in der Tradition solcher Opern-Erzlangweiler wie Mozarts "Sarastro" (aus: Die Zauberflöte) und Verdis "Padre Guardiano" bewegt, allerdings ohne deren eindeutige Charakterisierung.

Die Musik des Bösewichts Macavity schleicht vorüber, die eine enge Verwandtschaft zu Henry Mancinis Motiv für den "rosaroten Panther" im gleichnamigen Film aufweist, ihr folgt Mungojerrie und Rumpleteazer (F-Dur). In der Londoner Aufführung baute der Song auf zwei Noten auf - G und A - , jedoch für Amerika ersetzte Lloyd Webber ihn durch eine bessere, flüssigere Melodie. Old Deuteronomy, das Lied des Katzenpatriarchen, ist neben Memory das eindruckvollste des Abends, eine graziös fließende F-Dur-Meditation im 6/8-Takt, deren besänftigende Wirkung jedoch gleich wieder durch The Battle of the Pekes and the Pollicles aufgehoben wird, eine "Katze-frißt-Hund"- Szene, die man am besten schon in den Voraufführungen eingeschläfert hätte. Dieses gesichtslose Stück vergißt man sofort, wenn die nächste Nummer beginnt, The Jellicle Ball, eine ausgedehnte Ballettszene, in der Gillian Lynnes Tanzkatzen sich endlich austoben können; im Grunde ist sie eine herrliche Wiederholung und Ausweitung der Ouvertüre, die durch das Old-Deuteronomy-Motiv und - aus nicht ganz ersichtlichen Gründen - die Trompetenpassage aus Strawinskys Ballet Petruschka akzentuiert wird.

Als letzte Nummer vor der Pause kommt Grizabella, the Glamour-Cat. Das Baß-Motiv begleitet das gefallene leichte Mädchen, das sich über die Bühne schleppt; ein chor anglais stimmt sein trauriges Lied an, und dann erklingen die Noten von Memory in der Runde. Doch das Lied in B-Dur endet so schnell, wie es begann, und zu einem Thema aus der Ouvertüre erlischt auf der Bühne das Licht.

Der zweite Akt beginnt mit The Moments of Happiness, einem Trauerlied in e-Moll, das von Old Deuteonomy gesungen wird und das, wenn man es so nennen kann, durch einen Anklang von Memory in D-Dur aufgehellt wird. Es folgt eine lange Szene: Gus, the Theatre-Cat; der Theater-Kater ist ein alter, gebrochener Schauspieler, der seine Erinnerungen an die glorreichen Zeiten des Theaters, als Katzen noch Katzen waren, in seinen Bart murmelt:

Und ich sag, diese Kätzchen von heut sind verwöhnt,
Was man früher verlangte, ist heute verpönt.
Sie sind viel zu lax und sie sind viel zu steif
Wenn's hoch kommt, reicht's gerad für den Sprung.

Gus' Erinnerungen ziehen einen Szenenwechsel nach sich, als der alte Bühnenheld noch einmal seinen gloriosen Auftritt als Growltiger, der furchteinflößende Pirat, wiedererlebt. In London wurde diese brilliante Szene fast sofort durch The Ballad of Billy McCaw torpediert, ein Kneipen-Vauderville, das die schlimmsten Zeiten des englischen Musicals heraufbeschwört. Für Amerika mußte Lloyd Webber diese Ballade gegen seinen Willen herausschneiden, dafür erweiterte er eine Puccini-Melodie (in seiner "wichtigen" Tonart Des-Dur), die in dieser Szene auch an anderer Stelle erscheint, indem er sie zu einer deftigen und unterhaltsamen Parodie des Duetts aus dem ersten Akt von Madame Butterfly umänderte: "In una tepida notte", singen die beiden Verliebten Growltiger und Lady Griddlebone, als eine mörderische Bande von Siamesen sich anschickt, das Schiff zu stürmen und die Piraten an den Rahen aufzuhängen.

Skimbleshanks the Railway-Cat fängt ziemlich vielversprechend in einem lebendigen 13/8-Takt an, doch bereits nach vier Takten verliert der Komponist die Nerven und fällt wieder in den 4/4-Takt zurück; die Melodie erinnert an die Prokofjew-Suite Leutnant Kische (der Eliot tatsächlich zuhörte, als er die Katzen-Gedichte schrieb, und deren ähnlichen Rythmus Lloyd Webber einfing). Macavity: the Mystery-Cat, Eliots Hommage an die Sherlock-Holmes-Geschichten und ihren Erzbösewicht Moriarty (der "Napoleon des Verbrechens"), wird nicht von dem übeltäter in Katzengestalt selbst, sondern von seinen veschreckten Opfern in einem bluesmäßigen 4/4-Takt erzählt. Diesem Vortrag folgt eine Schlägerei, an deren Ende Macavity sich selbst einen elektrischen Schlag zu versetzten scheint - ein Ereignis, das vom Publikum vielleicht nicht allzusehr bedauert wird.

Magical Mister Mistoffelees ist eine Starnummer für den ersten Tänzer; Macavity hat Old Deuteronomy gekidnappt, doch Mistoffelees zaubert den alten Kater aus einer dieser Katzenhöllen zurück, in die Macavity ihn verschleppt hatte. Nach dieser Szene folgt der Auftritt Grizabellas - und endlich Memory.

Da man tagein, tagaus mit Memory berieselt wurde, fällt es schwer, das Lied unbefangen zu hören. Es beginnt nicht damit, das Grizabella es endlich singt, sondern eine andere Katze stimmt die Weise in D-Dur an und geht dann zu b-Moll über, als Grizabella ihre müden Knochen schleppt. Die Maria Magdalena der Katzen fällt dann in B-Dur aus voller Kehle ein:

Mondlicht,
Schau hinauf in das Mondlicht,
geh ins Land der Erinn'rung
auf der mondhellen Bahn.
Und wenn du dort
erfahren hast, was Glück wirklich ist,
fängt ein neues Leben an.

Träume -
Die Erinn'rung im Mondlicht,
lächelnd denk ich an damals,
als ich jung war und schön;
ich glaub' damals
hab' ich gewußt, was Glück wirklich ist.
Warum mußte es vergehn?

Wenn der Song mit Touch me, it's so easy to leave me / All alone with the memory / of my days in the sun seinen Höhepunkt erreicht hat, moduliert Lloyd Webber zu seiner Lieblingtonart Des-Dur, mit der er das Lied auch beendet.

Vielleicht sollte der Song Mem'ry heißen, denn seine Metrik ist völlig falsch: Für das dreisilbige Wort memory sind nicht drei Noten vorgesehen, sondern nur zwei. Außerdem setzt sich der Song aus bloßen Wiederholungen zusammen, denn die Melodie ändert sich nie; das kurze Mittelstück scheint nur pro forma dazustehen; obwohl es im 12/8-Takt gesetzt ist (mit einem eingeschobenen 10/8-Takt, um den Text richtig klingen zu lassen), hat es immer noch vier Betonungen im Takt. Was Memory so unwiderstehlich macht, ist seine Akkord-Struktur: I-VI-IV-III-II-VI-V-I (???), eine Standart-Harmoniefolge der Romantik, mit der Betonung auf Akkord IV - einem Es-Akkord in B-Dur. Diese entlehnte Halbkadenz wird von Lloyd Webber gern verwandt, aber sie kommt auch allgemein in der britischen Musik häufig vor, sowohl in der U- als auch in der E-Musik. In Memory schlug sie ein und kreierte einen Hit-Song von unvorstellbarem Ausmaß.

Nach dieser Arie geht es mit CATS bergab, selbst als Grizabella aufsteigt, um ihren Schöpfer zu begegnen. The Journey to the Heaviside Layer ist ein zwitscherndes, kleines Liedchen in G-Dur und selbstverständlich im 4/4-Takt, das bald wieder in B verfällt, so daß The Ad-dressing of Cats in seiner Grundtonart beginnen kann:

Nun wißt ihr von uns Katzen viel,
von unser Arbeit, unsrem Spiel;
Auch, daß wir ganz verschieden sind,
und selten ganz zufrieden sind,
Nun fällt euch die Erkenntnis leicht,
wie sehr der Mensch der Katze gleicht.

(Da eine Katze singt, ergibt Eliots Strophe nicht viel Sinn)

Ihr wißt, wie man uns richtig nennt,
weil ihr die wahren Namen kennt.
Nur eins habt ihr noch nicht erfahr'n:
Wie spricht man eine Katze an?
Wohl dem, der sich zuvor besinnt,
das Katzen keine Hunde sind.

Soweit sind wir also. Dann, als ob Rum Tum Tugger die Kontrolle über das Tonwerk übernommen hätte, schwingt die Tonart in die Gegentonart B-Dur auf - eine Tonart, die man in der ganzen Show noch nicht gehört hat -, und damit endet gnädigerweise CATS.

Nach der Premiere von CATS waren die Londoner Kritiker geteilter Meinung. Sie stimmten noch darin überein, daß es sich bei der Musik um eine Collage handele, doch dann endet der Konsens. Irving Wardle von der Times sprach von einem "großen Aufwand an Talent, dem jedoch die zündende Idee für ein organisches Werk fehlt. Lloyd Webbers Musik schlachtet zwei thematische Motive zur dramatischen Verknüpfung aus und bedient sich eines weiteren Feldes von populären Stilmitteln, um die einzelnen Nummern zu unterscheiden: Blues, Walzer, eine miserable, alte Revueshow-Ballade für Gus, den Theater-Kater, eine tuckernde Nummer für Skimbleshanks und ein massiger Choral für das Finale des Old Deuteonomy. Die Orchestrierung erscheint mir bemerkenswerter als das Grundmaterial, aber dennoch ist es kraftvoll melodische Theatermusik."


Author: Michael Walsh
Titel: Andrew Lloyd Webber - Der erfolgreichste Komponist unserer Zeit
Verlag: Serie Musik - PIPER SCHOTT © 1989 by Michael Walsch


Page written by Vlado Vidovic
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